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Bernried

Cinema anno dazumal - Von Weltwundern, fremden Ländern und Sensationen -Guckkastenbilder aus der Sammlung Buchheim

27. Juni bis 25. Oktober 2009
Villa Maffei, Dependance des Buchheim Museum
Seestraße 4, D-82340 Feldafing am Starnberger See


Seitdem Lothar-Günther Buchheim Guckkastenbilder gesammelt, in Kalendern und auf Postkarten reproduziert, und über sie geschrieben hat, sind mehr als vier Jahrzehnte vergangen. Inzwischen haben sich zahlreiche Ausstellungen, Publikationen und Forschungsprojekte in Europa eingehend mit dem Guckkasten und den dazugehörenden Guckkastenblättern beschäftigt, die vorwiegend in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Augsburg, Paris, London und Bassano gefertigt und verlegt wurden. Dabei wurde vor allem die mediengeschichtliche Bedeutung des Guckkastens im Kontext der Entwicklung der Massenmedien hervorgehoben. Eine Schlüsselfunktion kommt hier der Sammlung von

Werner Nekes zu, der weltweit bedeutendsten Kollektion zur Geschichte der optischen Medien.

Guckkastenblätter sind handkolorierte Kupferstiche oder Radierungen mit perspektivisch angelegten Darstellungen. Häufigste Motive sind Ansichten oder Sehenswürdigkeiten europäischer Städte, aber auch ferne, exotische Länder, die sieben Weltwunder der Antike, biblische und mythologische Geschichten, Allegorien oder historische – am wenigsten aktuelle – Ereignisse. Vorgeführt wurden die Bilder
von sogenannten Guckkästnern, die alleine oder mit ihren Familien über Land zogen und auf Jahrmärkten auftraten. Der gängigste Guckkastentyp funktionierte nach einem einfachen Prinzip: An dessen Vorderseite war eine Linse in eine runde Öffnung eingefügt.
Blickte der Betrachter in die Linse, schaute er über einen im 45-Grad-Winkel angebrachten Spiegel auf das Guckkastenbild, das seitenverkehrt auf dem Boden des Guckkastens lag. Der Lichteinfall wurde über die rückseitige Kastenöffnung reguliert. Auf diese Weise wurde das Guckkastenbild vergrößert und die Illusion von Raumtiefe gesteigert, so dass sich der Betrachter in eine real existierende Welt versetzt fühlte. Über die Piazza del Popolo beispielsweise, das klassische Entree des Romreisenden, betrat er den Boden der Heiligen Stadt, durch die er nun eine imaginäre Reise tat. Er besuchte die Fontana di Trevi, wandelte durch die Basilika St. Peter und durfte sogar einen Blick in den Vatikan und die hermetisch abgeriegelten päpstlichen Gärten werfen.
Oder er wurde Zeuge des schrecklichen Desasters der Spanier, deren Kanonenboote – schwimmende Batterien – allesamt bei dem Versuch versenkt wurden, die Festung Gibraltar den Engländern abzutrotzen. Auch konnte er anhand einer Folge von Bildern die Geschichte von Joseph und seinen Brüdern miterleben, die in verschiedenen Szenen wie in einem Film vor seinem Auge abrollte. Dabei tauschte der Guckkästner ein Blatt nach dem anderen aus, und würzte das visuelle Geschehen durch Kommentare und Erläuterungen, die je nach Wissensstand, Temperament und Herkommen mehr oder minder deftig und phantasievoll ausfielen. Unterhaltung, Schaulust und Bildung vermengten sich so auf gelungene Weise, was den Zielen der Aufklärung entgegenkam. Figurenreiche, höchst lebendig gestaltete, sich in reizende Details verlierende Staffagen unterstützen die Identifikation des Betrachters mit der jeweiligen Szenerie. Auf der Piazza San Marco oder auf dem Mailänder Domplatz mischt er sich unter die Zuschauer einer Theatergruppe, andernorts schlendert er über einen belebten Marktplatz, lässt sich in einer Barke über ferne Wasser treiben, unterstreicht mit ausholender Geste die Schönheit einer Stadtansicht oder wird zum Höfling, der in barocken Schlossgärten lustwandelt oder musikalischen Darbietungen lauscht …

Heute führen uns die Guckkastenbilder auf wundervolle Weise die damalige Zeit vor Augen. Dies betrifft nicht nur Gebäude und andere Architekturen, die längst verschwunden sind oder Ansichten von Städten, die sich gewandelt haben. Auch das Leben der Epoche wird uns, freilich in gefilterten, liebenswürdigen Bildern, ebenso gegenwärtig wie die damalige Mode oder die Verkehrsmittel, die seinerzeit üblich waren.

Lothar-Günther Buchheims Sammlung von Guckkastenbildern umfasst an die 700 Blätter, aus denen rund 120 repräsentative Beispiele aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts für diese Ausstellung ausgewählt wurden. Sie gewähren erstmals Einblick in diesen prachtvollen Bestand. Dabei überrascht nicht nur die Breite an Motiven. Viele der bekannten Verleger von Guckkastenblättern sind in der Kollektion vertreten wie Jacques Chereau, Jean-François Daumont, Louis Joseph Mondhare aus Paris, die Engländer Laurie & Whittle, Remondini aus Bassano sowie die berühmten Augsburger Verlage Georg Balthasar Probst und Kaiserlich Franziskische Akademie. Bei Probst, der selbst Stecher war, und seine Blätter stets mit Legenden in vier Sprachen versah, sind hochkarätigste Guckkastenbilder entstanden.

Die in zwei Kolorierungen vorliegende Ansicht der Amstel zu Amsterdam, die komplette Folge von »Joseph und seine Brüder«, der Prospekt von Konstantinopel und viele andere Arbeiten sind beredte Belege dafür. Auch zwei seitenverkehrt ausgeführte Kopien nach Probst’schen Blättern aus dem Verlag Remondini sind zu sehen. Nach jüngsten Forschungen über die Probst’sche Guckkastenblätterproduktion gab Probst in einem Zeitraum von zwanzig Jahren (etwa 1760 bis 1780) allein 410 Motive heraus. Die meisten von ihnen sind nach Vorlagen – vor allem Stichen – bekannter Künstler wie Carl Remshart, Michele Marieschi, Giovanni Battista Piranesi, Canaletto oder Giuseppe Zocchi gestochen worden. Doch gab es auch Zeichner, die neue Vorlagen erarbeiteten.

Allen, die derzeit nicht verreisen können, sei diese Ausstellung besonders ans Herz gelegt. Denn für einen ähnlich geringfügigen Preis, den seinerzeit die Schaulustigen auf den Jahrmärkten berappen mussten, können Sie, Ihre Familie und Ihre Freunde in der Villa Maffei eine spannende Zeitreise antreten, die Sie nicht nur in ein vergangenes Jahrhundert zurückversetzt, sondern Sie durch Rom, Florenz, Venedig, Mailand, Genua, Livorno, Amsterdam, London, Paris, Wien, Prag, Dresden, Augsburg und viele andere europäische Städte führt.

Und noch etwas gilt es zu bestaunen: das ungeheure handwerkliche Können und den Fleiß der Stecher. Jedes der ausgestellten Blätter, die in riesigen Auflagen gedruckt wurden, besteht aus Abertausenden von geraden, geschwungenen, kurzen, langen Linien, Schraffuren, Strichelchen, kleinen Pünktchen und dergleichen mehr. Hunderte von Stunden müssen die Stecher an einem Motiv gearbeitet haben. Das Kolorieren hingegen war ein Klacks und wurde in Heimarbeit, zumeist von Frauen und Kindern, mehr oder weniger sorgfältig ausgeführt.

Buchheim Museum | Bei uns veröffentlicht am 28.06.2009


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